1906 wurde die erste Orgel für die damals neu errichtete Dankeskirche von der Königlich-Württembergischen Orgelwerkstatt E.F. Walcker gebaut. Sie wurde gestiftet von Theodora Konitzky aus Antwerpen, deren Mann in Bad Nauheim als Kurgast Heilung fand. Das Instrument sollte von bester Qualität und modernster Ausführung sein. Daher besaß es eine sogenannte Organola-Walze, eine Selbstspieleinrichtung zum Abrufen eingespielter Musik. Auch das Fernwerk unter dem Kirchendach mit 250 sphärisch klingenden Pfeifen unterstrich den hohen musikalischen Anspruch. Der Schallaustritt des Fernwerks befindet sich an der höchsten Stelle des Innenraumes und verleiht damit der Orgelmusik eine besondere Wirkung und Bedeutung. Zusammen mit den 100 Sitzplätzen auf der dem Instrument gegenüberliegenden Empore und den Kirchenfenstern mit passenden Motiven entsteht ein die Musik betonender Gesamteindruck.
Im Hinblick auf die Klangkonzeption war das Fernwerk damals ein Echowerk. Dies bedeutet, dass die in der Hauptorgel schon vorhandenen Klangfarben sich dort wesentlich leiser wiederfanden. Ein kontinuierliches Abschmelzen des Klanges bis fast ins Nichts hinein war dadurch möglich. Die Klangfarben von Hauptorgel und Fernwerk waren perfekt aufeinander abgestimmt.
1965 war die Hauptorgel stark reparaturbedürftig. Der deutsche spätromantische Klang passte nicht mehr zum modischen Idealbild. Deshalb setzte sich Organist Rainer Lille für einen Neubau durch die Firma Walcker ein. Vorbild sollte eine Callinet-Orgel in Maseveaux (Frankreich) sein. Dieses Konzept kam seiner Vorliebe für französische Orgelmusik und seinem Wunsch nach stilistischer Vielseitigkeit entgegen. Damit war Lille Impulsgeber für eine Popularitätswelle dieser Stilrichtung in Deutschland, die etwa 30 Jahre lang anhielt und immer noch spürbar ist.
Das Fernwerk wurde 1965 entfernt, die Pfeifen wurden mit zahlreichen anderen aus der ursprünglichen Orgel wiederverwendet. So wurde vom `Bad Nauheimer Klang´ von 1906 vieles bewahrt, Klangfrische und Vielseitigkeit wurden verbessert. Emotionale und poetische Klänge verschwanden jedoch weitgehend, auch durch den Verlust des Fernwerks. Die Wahl der verbauten Materialien entsprach den Gepflogenheiten der 60er Jahre und ist einer der Gründe für den aktuell schlechten Zustand.
1999 wurde die Orgel komplett ausgereinigt, was bei jeder Orgel in regelmäßigen Abständen notwendig ist. Einige Renovierungsarbeiten, wiederum an die Firma Walcker vergeben, ließen Wünsche offen. Die in dem Zusammenhang hinzugefügten Register überforderten das Platzangebot der Orgel und machten die Zugänglichkeit schwierig bis unmöglich. Die 1999 eingebaute Elektronik war nach kurzer Zeit störanfällig.
2011 wurde das Fernwerk von 1906 mithilfe von Spenden rekonstruiert und teilweise restauriert. Es gilt seit seiner Wiedereinweihung als musikalische Rarität und bietet eine hervorragende Klangqualität. Die noch vorhandenen historischen Fernwerkspfeifen wurden aus Denkmalsschutzgründen wieder in die Kuppel der Kirche verlegt, wodurch Lücken in der Hauptorgel entstanden. Stilistisch und dynamisch klingen Fernwerk und Hauptorgel allerdings nicht mehr "aus einem Guss", da ein klanglich kontinuierlicher Übergang zwischen beiden Teilen des Instruments nicht möglich ist.
Aktuelle Situation: Immer massiver auftretende Mängel führen zu gravierenden Störungen bis zum Totalausfall der Orgel im Gottesdienst und bei Konzerten. Die Begehbarkeit im Innern ist nach den aktuellen Arbeitsschutzbestimmungen nur sehr eingeschränkt möglich. Deshalb können viele Register nicht mehr gestimmt und somit auch nicht gespielt werden. Das Konzert-Repertoire ist daher stark eingeschränkt. Handlungsbedarf ist auch durch eine beginnende Schimmelbildung an den Holzpfeifen von 1906 gegeben. Die verbauten Materialien von 1965 sind stark abgenutzt und haben sich als nicht tragfähig für ein zukunftsfähiges Konzept erwiesen.
Ausblick: Die neue Orgel soll die Vorteile beider Orgeln zusammenführen, Qualität bewahren, neue Akzente setzen, Vielseitigkeit, Klangschönheit und Langlebigkeit vereinen. Optik und Klang werden sorgfältig auf den Kirchenraum abgestimmt. Fernwerk und Hauptorgel sollen wieder optimal aufeinander abgestimmt werden. So entsteht im Zentrum Bad Nauheims ein kultureller und spiritueller Anziehungspunkt, der sich positiv auf die Gemeinde- und Stadtentwicklung auswirken wird.
Mit der neuen Orgel soll man Werke von Bach, französischer Komponisten, deutsche Romantik und Moderne sowie Jazz spielen können.